Stechuhr-Regeln für Arbeitnehmer und Chefs
Angestellte müssen ihre Arbeitszeit erfassen, das entschied das Bundesarbeitsgericht im September. Doch bislang bestand viel Unsicherheit, wie das Urteil umzusetzen ist – da die schriftliche Begründung der Richter noch ausstand. Am Wochenende ist diese veröffentlicht worden.
Für viele Arbeitgeber war die Meldung aus Erfurt ein echter Paukenschlag: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte bereits im September, dass Unternehmen verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden zu erfassen. Schon bei der Urteilsverkündung der Richter war klar, dass sich das Urteil auf den Alltag vieler Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland auswirken dürfte.
Bislang blieb allerdings strittig, was sich genau in der Praxis für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ändern muss, weil die schriftliche Urteilsbegründung noch ausstand. Nicht abschließend geklärt, war etwa die Frage, wie Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit festhalten sollen. Ebenso gab es noch keine klare Antwort darauf, ob Arbeitgeber ihren Beschäftigten lediglich ein System zur Zeiterfassung bereitstellen müssen – oder ob die Arbeitszeit auch tatsächlich festgehalten werden muss.
Doch seit diesem Samstag besteht mehr Klarheit. Das BAG veröffentlichte am Wochenende seine schriftliche Urteilsbegründung. Auf 22 Seiten erläutern die Richter darin, was jetzt für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gilt.
Arbeitszeiterfassung wird Pflicht: Die wichtigsten Punkte aus dem Urteil
Das sagt die Urteilsbegründung:
· Arbeitgeber müssen die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter tatsächlich erfassen. Es reiche nicht aus, lediglich ein System zur Verfügung zu stellen, wie manche gemutmaßt haben.
· Weiter gilt die Zeiterfassung nach Aussage des Gerichts ab sofort. Das heißt, es gibt keine Übergangsfrist. „Arbeitgeber, die die Arbeitszeit bisher nicht erfassen, sollten ihre Mitarbeiter jetzt zur Selbstaufzeichnung der Arbeitszeit verpflichten“. Allerdings müssen bei Verstößen wohl erstmal keine unmittelbaren Geldbußen gezahlt werden. So müssten etwaige Strafzahlungen zunächst behördlich angeordnet werden.
· Die Aufzeichnung muss nicht zwingend in elektronischer Form erfolgen, also etwa mithilfe eines Computersystems. „Es reichen auch Aufzeichnungen in Papierform.“ So habe das Gericht nicht definiert, wie die Zeit genau zu erfassen ist.
· Außerdem darf der Arbeitgeber die Pflicht zur Aufzeichnung an die Arbeitnehmer delegieren. „Eine Selbstaufzeichnung der Arbeitszeit durch die Mitarbeiter erfüllt die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts”. Vertrauensarbeitszeit-Modelle dürften daher weiterhin möglich sein, wenn darunter selbstbestimmtes Arbeiten mit freier, eigener Planung der Zeit zu verstehen ist.
Unterschiedliche Interpretationen gibt es hingegen bei der Frage, ob die Zeiterfassung auch für Führungskräfte gilt. Die Begründung so, dass leitende Angestellte wie bisher von der Arbeitszeiterfassung ausgenommen sind.
Ampel-Koalition muss handeln
Fest steht: Die größte Aufgabe hat jetzt die Ampel-Regierung beziehungsweise der Gesetzgeber. „Er ist nach wie vor in der Pflicht, das Arbeitszeitgesetz anzupassen“, sagt Arbeitsrechtler Gerhard Kronisch. Das Bundesarbeitsgericht war in der Debatte um die Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes vorgeprescht.
So arbeitet die Bundesregierung bereits daran, Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dessen Stechuhr-Urteil von 2019 in deutsches Recht umzusetzen. Danach sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Die soll nach der Intention des EuGHs helfen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten.