Einkünftezurechnung bei sog. doppelter Treuhand
Bei der sog. doppelten Treuhand kann (auch) nach Eintritt des Sicherungsfalles ein steuerrechtlich anzuerkennendes Treuhandverhältnis i. S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO vorliegen (BFH, Urteil v. 04.05.2022 – I R 19/18; veröffentlicht am 22.9.2022).
Sachverhalt: Der Kläger, ein eingetragener Verein, hat gem. § 2 Nr. 1 seiner Satzung den Zweck, „das ihm zu treuen Händen übertragene Treuhandvermögen der … AG und deutscher … Konzerngesellschaften … zu halten und zu verwalten“. Das Treuhandvermögen wird in der Satzung als der Teil des Vermögens der Unternehmen definiert, der jeweils zur Sicherung der Pensionsverpflichtungen der Unternehmen gegenüber ihren versorgungsberechtigten Personen, insbesondere Mitarbeitern und deren Hinterbliebenen aus Pensionszusagen, dient und dem Verein zu diesem Zweck übertragen wurde, sowie alle Surrogate dieses Vermögens. Der Kläger verfolgt gem. § 2 Nr. 2 seiner Satzung keine Erwerbsinteressen. Er wird unentgeltlich tätig.
Über das Vermögen der AG wurde im Jahr 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach Aufforderung durch das FA reichte der Kläger Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 2009 und 2010 (Streitjahre) ein. Er erklärte darin – entgegen seiner eigenen Rechtsauffassung – Einkünfte aus Kapitalvermögen, wobei er eine Kürzung gem. § 8b Abs. 1 KStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung vornahm sowie – wegen fehlender Betriebsausgaben – eine Hinzurechnung nach § 8b Abs. 5 KStG unterließ.
Das FA setzte die Körperschaftsteuer für die Streitjahre fest. Dabei nahm es jeweils eine Hinzurechnung gem. § 8b Abs. 5 KStG vor.
Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil v. 15.05.2018 – 6 K 357/15 K).
Der BFH hat die Revision als begründet angesehen und das FG-Urteil sowie die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide aufgehoben:
• Der Kläger ist gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG als rechtsfähiger Verein mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Nach den Feststellungen des FG ist er nicht gem. § 5 KStG von der Steuer befreit. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf sämtliche Einkünfte (§ 1 Abs. 2 KStG). Da der Kläger als sonstige juristische Person des privaten Rechts nicht § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG unterfällt, sind nicht alle von ihm erzielten Einkünfte gem. § 8 Abs. 2 KStG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln; vielmehr kann er wie die Vorinstanz zutreffend angenommen hat auch Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. des § 20 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung erzielen.
• Der Ansatz der Dividenden als (Betriebs-)Einnahmen setzt voraus, dass jene Einnahmen dem Kläger steuerrechtlich zuzurechnen sind. Die persönliche Zurechnung von Dividenden richtet sich für die Streitjahre nach § 20 Abs. 5 EStG i. V. mit § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG. Anteilseigner i. S. des § 20 Abs. 5 Satz 1 EStG ist derjenige, dem nach § 39 AO die Anteile an dem Kapitalvermögen i. S. des Abs. 1 Nr. 1 im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses zuzurechnen sind.
• Nach § 39 Abs. 1 AO sind Wirtschaftsgüter dem Eigentümer zuzurechnen, damit dem zivilrechtlichen Eigentümer oder Inhaber des Wirtschaftsguts. Abweichend davon bestimmt allerdings § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO, dass bei Treuhandverhältnissen die Wirtschaftsgüter dem Treugeber zuzurechnen sind; dies setzt im konkreten Einzelfall ein steuerrechtlich anzuerkennendes Treuhandverhältnis voraus. Dies war in Bezug auf die in Rede stehenden Aktien in den Streitjahren der Fall.
• Im Streitfall liegt auch nach Eintritt des Sicherungsfalles (§ 5 Ziff. 3 Buchst. c des Treuhandvertrages) ein steuerrechtlich anzuerkennendes Treuhandverhältnis i. S. des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO vor.
• Der von der Vorinstanz für rechtmäßig erachtete Ansatz der sonstigen Kapitalforderungen als (Betriebs-)Einnahmen setzt voraus, dass jene Einnahmen dem Kläger steuerrechtlich zuzurechnen sind. Die persönliche Zurechnung von sonstigen Kapitalforderungen kommt aber nur in Betracht, wenn der Kläger Inhaber der auf einen Geldbetrag gerichteten Forderungen ist. Eine Zurechnung von Einkünften scheidet dabei aus, wenn die bezogenen Erträge weitergeleitet werden müssen, ohne dass rechtlich in irgendeiner Weise auf die Verwaltung des Vermögens Einfluss genommen werden kann (BFH, Urteil v. 26.11.1997 – X R 114/94). Dies ist hier der Fall.