EuGH zur Geldwäscherichtlinie
Die Bestimmung, dass die Angaben über die wirtschaftlichen Eigentümer von im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingetragenen Gesellschaften in allen Fällen für alle Mitglieder der Öffentlichkeit zugänglich sein müssen, ist ungültig.
Der mit dieser Maßnahme verbundene Eingriff in die durch die Charta gewährleisteten Rechte ist weder auf das absolut Erforderliche beschränkt noch steht er in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel.
Gemäß der Geldwäscherichtlinie[1] wurde durch ein im Jahr 2019 erlassenes luxemburgischen Gesetz[2] ein Registre des bénéficiaires effectifs (Register der wirtschaftlichen Eigentümer) geschaffen. Dieses Gesetz sieht vor, dass eine Reihe von Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer der eingetragenen Einrichtungen in dieses Register aufgenommen und gespeichert werden. Zu einem Teil dieser Informationen hat die breite Öffentlichkeit Zugang, u. a. über das Internet. Ferner hat ein wirtschaftlicher Eigentümer nach diesem Gesetz die Möglichkeit, bei Luxembourg Business Registers (LBR), dem Verwalter des Registers, zu beantragen, den Zugang zu solchen Informationen in bestimmten Fällen zu beschränken.
In diesem Zusammenhang wurden beim Bezirksgericht Luxemburg Klagen von einer luxemburgischen Gesellschaft und dem wirtschaftlichen Eigentümer einer solchen Gesellschaft eingereicht, die erfolglos bei LBR beantragt hatten, den Zugang der breiten Öffentlichkeit zu den sie betreffenden Informationen zu beschränken. Dieses Gericht vertrat die Ansicht, dass die Verbreitung solcher Informationen ein unverhältnismäßiges Risiko einer Beeinträchtigung der Grundrechte der betroffenen wirtschaftlichen Eigentümer mit sich bringen könne, und stellte daher dem Gerichtshof eine Reihe von Vorlagefragen nach der Auslegung gewisser Bestimmungen der Geldwäscherichtlinie und zu deren Gültigkeit im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
In seinem Urteil vom 22.11.2022 stellt der Gerichtshof (Große Kammer) die im Licht der Charta bestehende Ungültigkeit derjenigen Bestimmung der Geldwäscherichtlinie fest, nach der die Mitgliedstaaten in allen Fällen den Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu den Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer der in ihrem Gebiet eingetragenen Gesellschaften oder anderen juristischen Personen sicherzustellen haben.
Nach Ansicht des Gerichtshofs stellt der Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu den Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten dar, die in den Art. 7 bzw. 8 der Charta verankert sind. Die verbreiteten Angaben ermöglichen es nämlich einer potenziell unbegrenzten Zahl von Personen, sich über die materielle und finanzielle Situation eines wirtschaftlichen Eigentümers Kenntnis zu verschaffen. Außerdem werden die möglichen Folgen einer etwaigen missbräuchlichen Verwendung ihrer personenbezogenen Daten für die betroffenen Personen dadurch verschärft, dass diese Daten, sobald sie der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt worden sind, nicht nur frei abgerufen, sondern auch auf Vorrat gespeichert und verbreitet werden können.
Allerdings möchte der Unionsgesetzgeber mit der fraglichen Maßnahme Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verhindern, indem er mittels erhöhter Transparenz ein Umfeld schafft, das weniger leicht für diese Zwecke genutzt werden kann. Nach Auffassung des Gerichtshofs verfolgt der Gesetzgeber somit eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung, die selbst schwerwiegende Eingriffe in die in den Art. 7 und 8 der Charta verankerten Grundrechte zu rechtfertigen vermag; auch ist der Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu den Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer zur Verwirklichung dieser Zielsetzung geeignet.
Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass der Eingriff, den diese Maßnahme mit sich bringt, weder auf das absolut Erforderliche beschränkt ist noch in einem angemessenen Verhältnis zur verfolgten Zielsetzung steht. Neben der Tatsache, dass die fraglichen Bestimmungen die öffentliche Zugänglichmachung von Daten gestatten, die weder hinreichend bestimmt noch identifizierbar sind, stellt die mit der Geldwäscherichtlinie eingeführte Regelung einen erheblich schwereren Eingriff in die in den Art. 7 und 8 der Charta verbürgten Grundrechte dar als die Vorgängerregelung (die neben dem Zugang der zuständigen Behörden und bestimmter Einrichtungen den Zugang aller Personen oder Organisationen vorsah, die ein berechtigtes Interesse nachweisen konnten), ohne dass diese zusätzliche Schwere durch etwaige Vorteile kompensiert würde, die sich aus der neuen Regelung im Vergleich zur früheren hinsichtlich der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ergeben könnten.
Insbesondere das von der Kommission geltend gemachte etwaige Vorliegen von Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung der Fälle und Bedingungen, in bzw. unter denen ein solch berechtigtes Interesse besteht, kann nicht rechtfertigen, dass der Unionsgesetzgeber den Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu den fraglichen Informationen vorsieht. Zudem hält der Gerichtshof die fakultativen Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten erlauben, die Bereitstellung der Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer von einer Online-Registrierung abhängig zu machen und für außergewöhnliche Umstände Ausnahmen vom Zugang aller Mitglieder der Öffentlichkeit zu diesen Informationen vorzusehen, als solche für weder geeignet, zu belegen, dass eine ausgewogene Gewichtung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung und der in den Art. 7 und 8 der Charta verankerten Grundrechte vorgenommen wurde, noch, dass hinreichende Garantien bestehen, die es den betroffenen Personen ermöglichen, ihre personenbezogenen Daten wirksam gegen Missbrauchsrisiken zu schützen.