Übergangsregelung vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren
Mit am 7. Februar 2023 veröffentlichtem Beschluss (Az. 2 BvL 29/14) hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts auf die Vorlage eines Finanzgerichts entschieden, dass auch § 36 Absatz 6a Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der Fassung von § 34 Abs. 13f KStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 (im Folgenden: § 36 Abs. 6a KStG) mit Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist. Die Regelung kann zu einem Verlust von im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren realisierbarem Körperschaftsteuerminderungspotenzial führen, ohne dass dies durch die gleichzeitige Verringerung von Körperschaftsteuererhöhungspotenzial vollständig kompensiert wird.
Nach dem bis Ende 2000 geltenden Anrechnungsverfahren wurden nicht ausgeschüttete steuerbare Gewinne von Körperschaften mit (zuletzt) 40 % Körperschaftsteuer belastet (Tarifbelastung). Kam es später zu Gewinnausschüttungen, reduzierte sich der Steuersatz auf (zuletzt) 30 % (Ausschüttungsbelastung). Für die Körperschaft entstand so ein Körperschaftsteuerminderungspotenzial in Höhe der Differenz zwischen Tarif- und Ausschüttungsbelastung, zuletzt also in Höhe von 10 Prozentpunkten. Steuerfreie Vermögensmehrungen der Körperschaft wurden dagegen zum Teil bei einer Ausschüttung mit dem Ausschüttungssteuersatz von 30 % nachbelastet, enthielten also ein Steuererhöhungspotenzial.
§ 36 KStG ist Teil der Übergangsvorschriften, die den Wechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren regeln. Danach wurden die unter dem Anrechnungsverfahren gebildeten, unterschiedlich mit Körperschaftsteuer belasteten und die nicht belasteten Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals in mehreren Schritten zusammengefasst und umgegliedert. Das in den verbleibenden belasteten Eigenkapitalteilen enthaltene Körperschaftsteuerminderungspotenzial wurde in ein Körperschaftsteuerguthaben umgewandelt, das während einer mehrjährigen Übergangszeit abgebaut werden konnte.
Die Regelung in § 36 Abs. 6a KStG sieht die Umgliederung des mit 45 % vorbelasteten Eigenkapitals (EK 45) in mit 40 % vorbelastetes Eigenkapital (EK 40) vor; gleichzeitig wird ein positiver nicht mit Körperschaftsteuer vorbelasteter Eigenkapitalteil (EK 02) verringert, bis er verbraucht ist. Bei dieser Umgliederung kann es zu einem Verlust von im Zeitpunkt des Systemwechsels realisierbarem Körperschaftsteuerminderungspotenzial kommen, ohne dass dies durch die Verringerung eines im EK 02 ruhenden und im Zeitpunkt des Systemwechsels realisierbaren Körperschaftsteuererhöhungspotenzials ausgeglichen wird.
Das unter dem Anrechnungsverfahren angesammelte Körperschaftsteuerminderungspotenzial unterfällt in dem Umfang, in dem es im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren realisierbar war, dem Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG). In dieses Schutzgut greift § 36 Abs. 6a KStG bei einer bestimmten Eigenkapitalstruktur nachteilig ein. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Er ist zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele jedenfalls nicht erforderlich und wird den Anforderungen des Gleichheitssatzes an die Umgestaltung von Eigentümerbefugnissen nicht gerecht.