BMF-Richtsätze als geeignete Schätzungsgrundlage

Das BMF wird aufgefordert, dem Revisions­verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und – wenn ja – unter welchen Voraus­setzungen ein äußerer Betriebs­vergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatz­sammlung des BMF zulässig ist (BFH, Beschluss v. 14.12.2022 – X R 19/21; veröffent­licht am 02.03.2023).

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Kläger betrieb in den Streitjahren 2013 und 2014 eine Diskothek, ein Lokal sowie eine Shisha-Bar. Eine für die Streitjahre durchgeführte Außen­prüfung beanstandete die Kassen- und Buchführung des Klägers als formell ordnungs­widrig. Infolgedessen nahm der Prüfer Hinzu­schätzungen vor.  Die hiergegen gerichtete Klage hatte in der Sache im ersten Rechtsgang vor dem FG Hamburg teilweise Erfolg. Zwar beanstandete das FG sowohl die Schätzungs­methode als auch das Schätzungs­ergebnis des FA. In Ausübung seiner eigenen Schätzungs­befugnis schätzte es im ersten Rechtsgang die Getränke­umsätze nach Maßgabe eines äußeren Betriebs­vergleichs. Dabei orientierte sich das FG im bei dem von ihm zugrunde gelegten Rohgewinn­aufschlagsatz von 300 % zum einen an der vom BMF veröffentlichten Richtsatz­sammlung, die für Gastronomie­betriebe in den Streitjahren Rohgewinn­aufschlagsätze zwischen 186 % und 376 % (2013) bzw. 186 % und 400 % (2014) sowie einen Mittelwert von jeweils 257 % ausweist. Zum anderen berief es sich auf einen nur für den Dienstgebrauch der Finanzverwaltung erstellten Erfahrungsbericht vom 23.05.2017 über Betriebs­prüfungen bei Diskotheken (sog. Fachinfosystem Bp NRW, FG Hamburg, Urteil v. 03.09.2019 – 2 K 218/18. Diese Entscheidung hob der BFH mit Beschluss v. 28.05.2020 – X B 12/20 auf. Das Gericht sah den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs als verletzt an, da das FG auf das „Fachinfosystem Bp NRW“ zurückgegriffen hatte, ohne zuvor die hieraus entnom­menen Erkenntnisse dem Kläger inhaltlich zugänglich gemacht zu haben. Im zweiten Rechtsgang bestätigte das FG sein bisheriges Ergebnis, griff für den Ansatz eines Rohgewinnaufschlagsatzes von 300 % aber nur noch auf die Richtsatzs­ammlung des BMF zurück (FG Hamburg, Urteil v. 13.10.2020 – 2 K 218/18) Auf die Revision des Klägers hat der BFH das BMF aufgefordert, dem Revisions­verfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und – wenn ja – unter welchen Voraus­setzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatz­sammlung des BMF zulässig ist: In Anbetracht der steuerrechtlichen und auch steuerstraf­rechtlichen (vgl. BGH, Beschluss v. 20.12.2016 1 StR 505/16) erheblichen Bedeutung der Verprobung und Schätzung von Besteuerungs­grundlagen anhand der amtlichen Richtsatzsammlung erscheint es sachgerecht, das BMF – auch mit Blick auf dessen Heraus­geberschaft der Sammlung – am Revisions­verfahren zu beteiligen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass trotz der Antwort der Bundes­regierung vom 11.09.2018 (BT-Drucks-19/4238) auf die Kleine Anfrage zur Ermittlung der Richtsatz­sammlung weiterhin Klärungs­bedarf über das Zustande­kommen der einzelnen Richtsätze besteht und statistische Unzu­länglich­keiten eingewandt werden. Unklar erscheint insbesondere,

  • welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze der jeweiligen Gewerbeklasse einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden;
  • ob die regional zum Teil erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten (insbesondere Raum- und Personalkosten) der Festlegung bundes­einheit­licher Richtsätze entgegensteht;
  • weshalb die Ergebnisse von Außenprüfungen bei sog. Verlust­betrieben unberücksichtigt bleiben, obwohl auch solche Betriebe grundsätzlich einen positiven Rohgewinn­aufschlagsatz ausweisen;
  • ob ganz oder teilweise erfolgreiche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine Außen­prüfung ergangenen Steuer­bescheide Eingang in die Richtsatz­sammlung finden.

Zudem stellt sich die Frage, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, das Ergebnis einer Schätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatz­sammlung insbesondere auch im Hinblick auf die spezifischen Daten, die dieser Sammlung zugrunde liegen nachzu­vollziehen und zu überprüfen.