Kindergeld: Dreimonatiger Anspruchsausschluss

Ein Unionsbürger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Aufnahmemitgliedstaat begründet hat, kann nicht deshalb während der ersten drei Monate seines Aufenthalts vom Bezug von Kindergeld ausgeschlossen werden, weil er keine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit in diesem Mitgliedstaat bezieht (EuGH, Urteil v. 01.08.2022 – C-411/20).

Hintergrund: § 62 Abs. 1a Satz 1 EStG regelt unter anderem, dass ein Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats in den ersten drei Monaten ab Begründung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland keinen Anspruch auf Kindergeld hat. Dies gilt nach § 62 Abs. 1a Satz 2 EStG nicht, wenn er nachweist, dass er im Inland Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, einem Gewerbebetrieb, aus selbstständiger Arbeit oder aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt, also erwerbstätig ist. Die Vorschrift wurde mit dem Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch v. 11.07.2019 mit Wirkung zum 01.08.2019 eingeführt (§ 52 Abs. 49a Satz 1 EStG)

Dauer von Klagen in Steuerberater-prüfungssachen

Die Angemessenheit der Dauer eines Klageverfahrens zur Überprüfung von Ergebnissen der Steuerberater­prüfung ist schon aufgrund der hohen Bedeutung und Grundrechts­relevanz für den Betroffenen und der besonderen Eilbedürftigkeit einzelfall­bezogen zu betrachten. Die für den Regelfall finanzgerichtlicher Klageverfahren geltende Vermutung, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach Klageeingang mit der Bearbeitung beginnt und diese nicht mehr nennens­wert unterbricht, ist hier nicht anwendbar (BFH, Urteil v. 23.03.2022 – X K 2/20; veröffentlicht am 4.8.2022). Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Wirtschaftliches Eigentum durch Einräumung von Filmverwertungsrechten

Die für Leasingverträge entwickelten Grundsätze zur Zurechnung wirtschaftlichen Eigentums können nicht uneinge­schränkt auf die Nutzungs­überlassung von Filmrechten übertragen werden (BFH, Urteil v. 14.04.2022 – IV R 32/19; veröffentlicht am 04.08.2022).

Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:

  • Einem Nutzungsberechtigten kann nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO ausnahmsweise das wirtschaftliche Eigentum an Filmrechten zuzurechnen sein.
  • Dies kommt allerdings nur in Betracht, wenn der zivilrechtliche Eigentümer infolge der vertraglichen Vereinbarungen während der gesamten voraussichtlichen Nutzungsdauer der Filmrechte von deren Substanz und Ertrag wirtschaftlich ausgeschlossen ist.
  • Hieran fehlt es z.B., wenn der zivilrechtliche Eigentümer durch erfolgsabhängige Vergütungen während der gesamten Vertragslaufzeit weiterhin an Wertsteigerungen der Filmrechte beteiligt ist.
  • Die für Leasingverträge entwickelten Grundsätze zur Zurechnung wirtschaftlichen Eigentums können nicht uneingeschränkt auf die Nutzungsüberlassung von Filmrechten übertragen werden.
  • Dies folgt insbesondere daraus, dass eine hinlänglich verlässliche Einschätzung der Wertentwicklung von Filmrechten im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertriebsvertrags regelmäßig nicht möglich ist.

Steuerabzug bei Softwareauftragsentwicklung

Das BMF hat ein Schreiben zum Steuerabzug nach § 50a EStG bei Softwareauftragsentwicklung veröffentlicht (BMF, Schreiben v. 02.08.2022 – IV B 8 – S 2303/19/10004 :001).

In dem Schreiben geht das BMF auf folgende Punkte näher ein:

  • Softwareauftragsentwicklung
  • Reform des UrhG
  • Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG
  • Freistellung und Entlastung

Das Schreiben ist auf alle offenen Fälle anzuwenden, bei denen der Abschluss eines Vertrages zur Softwareauftragsentwicklung nach dem 06.06.2021 stattgefunden hat, und auf Sachverhalte, die nach diesem Datum entstehen. Aus Vereinfachungsgründen ist dieses Schreiben ferner auf alle Zahlungen anzuwenden, die nach dem 6.6.2021 zufließen (zum Zuflusszeitpunkt, siehe § 73c EStDV).

Die im BMF, Schreiben v. 27.10.2017 – IV C 5 – S 2300/12/10003 :004 dargelegten Grundsätze zur beschränkten Steuerpflicht werden nicht berührt.

 

Neuregelungen August 2022: Bildung

Die Neuregelungen im August betreffen u.a. den Energiemarkt, Frauenrechte, das BAföG, die Verkehrssicherheit sowie den Verbraucherschutz.

BAföG-Reform: Freibetrag, Bedarfssatz und Wohnkostenzuschlag steigen

Die Freibeträge werden zum 1. August 2022 um 20,75 Prozent angehoben, die Bedarfssätze um 5,75 Prozent, der Wohnkostenzuschlag steigt auf 360 Euro. Außerdem wird die Altersgrenze von 30 Jahren bei Beginn der Ausbildung auf 45 Jahre angehoben. Das wirkt sich ebenfalls auf die Berufsausbildungshilfe, das Ausbildungsgeld und die Einstiegsqualifizierung aus.

Reiserecht: EuGH-Vorlage – Folgen eines Reiserücktritts wegen Covid 19

Der unter anderem für Pauschalreiserecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage zur Auslegung der Pauschalreise-Richtlinie vorgelegt (BGH, Beschluss v. 02.08.2022 – X ZR 53/21).

  • Die Begründetheit der Klage hängt davon ab, ob die beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt.
  • Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
  • In Instanzrechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob Umstände dieser Art bereits im Zeitpunkt des Rücktritts vorgelegen haben müssen, oder ob der Entschädigungsanspruch auch dann ausgeschlossen ist, wenn solche Umstände erst nach der Rücktrittserklärung aufgetreten sind.
  • Im Streitfall hat das Landgericht auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abgestellt und angenommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Zeitpunkt des Rücktritts am 01.03.2020 noch nicht hinreichend wahrscheinlich war.
  • Der BGH hält diese Beurteilung für fehlerhaft, weil das Landgericht sich nicht mit der Frage befasst hat, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl der bis zum 01.03.2020 in Japan getroffenen Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte für eine erhebliche Infektionsgefahr begründete. Zur abschließenden Klärung dieser Frage müsste er die Sache an das Landgericht zurückverweisen.
  • Eine Zurückverweisung der Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts wäre hingegen entbehrlich, wenn der Entschädigungsanspruch bereits wegen des nach dem Rücktritt am 26.03.2020 angeordneten Einreiseverbots ausgeschlossen wäre. Der BGH neigt der Auffassung zu, dass (auch) nach dem Rücktritt aufgetretene Umstände dieser Art zu berücksichtigen sind.
  • Er hat die Frage dem EuGH vorgelegt, weil aufgrund einer Vorlage des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 25.01.2022 (8Ob130/21g) nicht hinreichend klar ist, ob Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreise-Richtlinie, deren Umsetzung § 651h BGB dient, in diesem Sinne auszulegen ist.

Änderungen im Berufsrecht

Am 01.08.2022 treten Änderungen der Berufsordnung der Steuerberater (BOStB) und der Fachberaterordnung (FBO) in Kraft. Hierauf macht die BStBK aufmerksam.

Hintergrund: Die Satzungsversammlung der BStBK hat am 03.05.2022 Änderungen der BOStB und der Fachberaterordnung FBO beschlossen. Eine Anpassung der BOStB war insbesondere aufgrund des zum 01.08.2022 in Kraft tretenden Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der Berufsausübungsgesellschaften erforderlich geworden.

Hierzu führt die BStBK u.a. weiter aus:

  • Die BOStB wurde an die seit der letzten Novellierung ergangene Rechtsprechung (z.B. im Bereich der Werbung) angepasst.
  • Auch berücksichtigt die Novelle der BOStB neue Entwicklungen bei den vereinbaren Tätigkeiten wie etwa die Einführung des Restrukturierungsbeauftragten und Sanierungsmoderators im Insolvenzrecht.
  • Bei der Fachberaterordnung wurden insbesondere die Anlagen zur FBO, die die nachzuweisenden besonderen Kenntnisse regeln, überarbeitet. Hinsichtlich der Pflichtfortbildung wird nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass diese auch in elektronischer Form (z.B. durch Teilnahme an einem Online-Seminar) erfolgen kann.
  • Das BMF gab am 20.06.2022 grünes Licht für die beschlossenen Änderungen der BOStB und FBO.

Kindergeld: Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger

Der Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger mit humanitären Aufenthaltstiteln vom Kindergeld ist verfassungswidrig. § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 (EStG 2006) verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Vorschrift ist nichtig (BVerfG, Beschluss vom 28.07.2022 – 2 BvL 9/14, 2 BvL 14/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL 10/14).

Hintergrund: § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b EStG 2006 sieht vor, dass Staatsangehörige der meisten Nicht-EU-Staaten, denen der Aufenthalt in Deutschland aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erlaubt ist, nur dann einen Anspruch auf Kindergeld haben, wenn sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten und zusätzlich bestimmte Merkmale der Arbeitsmarktintegration erfüllen, das heißt entweder im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind, Arbeitslosengeld I beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen. Nach Einleitung des Vorlageverfahrens wurde § 62 Abs. 2 EStG mit Wirkung zum 01.03.2020 geändert.

Verfahrensrecht: BFH

Gestaltungsmissbrauch bei Einlage in die Kapitalrücklage einer überschuldeten GmbH zur anschließenden Tilgung von Verbindlichkeiten gegenüber der Alleingesellschafterin: Leistet die Alleingesellschafterin einer überschuldeten und sich in Abwicklung ihres Geschäftsbetriebs befindlichen GmbH eine Einlage in deren Kapitalrücklage mit dem alleinigen Zweck, mit den eingelegten Mitteln die gegenüber der Alleingesellschafterin bestehenden Verbindlichkeiten zu bedienen, und werden die Einlage und die Rückzahlungen der Verbindlichkeiten nur buchhalterisch in einem konzerninternen Verrechnungssystem abgebildet, liegt dann ein Gestaltungsmissbrauch vor, als dessen Folge die Gestaltung wie ein Forderungsverzicht der Alleingesellschafterin zu behandeln ist? (BFH-Az. I R 11/22; Vorinstanz: FG Düsseldorf, Urteil v. 22.12.2021 – 7 K 101/18)

DBA-Schweiz: Konsultationsvereinbarung

Deutschland und die Schweiz haben sich über die Weiterführung der Ergänzung der Konsultationsvereinbarung vom 21.12.2016 über die Durchführung von Schiedsverfahren gemäß Artikel 26 Absatz 5 bis 7 DBA-Schweiz bis zum 31.12.2024 geeinigt (BMF, Schreiben v. 26.07.2022 – IV B 2 – S 1301-CHE/21/10030 :0029).

Danach haben die zuständigen Behörden die Weiterführung der Ergänzung vom 25.10.2019 (BStBl I 2019 S. 1014) zur Konsultationsvereinbarung vom 21.12.2016 (BStBl I 2017 S. 379) beschlossen:

Weiterführung der Ergänzung der Konsultationsvereinbarung vom 21. Dezember 2016 über die Durchführung von Schiedsverfahren gemäß Artikel 26 Absatz 5 bis 7 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.08.1971 (DBA).

Gestützt auf Artikel 26 Absatz 5 bis 7 DBA vereinbaren die zuständigen Behörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland, dass die Konsultationsvereinbarung vom 25.10.2019 zur Ergänzung der Konsultationsvereinbarung vom 21.12.2016 über die Durchführung von Schiedsverfahren gemäß Artikel 26 Absatz 5 bis 7 DBA bis zum 31.12.2024 anwendbar ist, sofern sich die zuständigen Behörden nicht über die Weiterführung einigen.